top of page
AutorenbildGerald

Ein Lesetipp - Unter der Drachenwand - von Arno Geiger



Gusto möchte ich Euch machen, mit einem Auszug aus einem Buch über mehrere Schicksale im Jahr 1944 - Der Krieg ist aus, aber was wird kommen. Eines dieser Schicksale ist die jüdische Familie von Milch Sandor, die auf ihrer Flucht aus Wien in Budapest landet, hier kurze Momente bescheidenen Glücks findet, ehe auch da die Deutschen einmarschieren.

Milch Sandor ist mit Wally und seinem Sohn Georgili nach Budapest gefahren und bei Istvan untergekommen. Nun muss er wieder auf der dunklen Seite der Strasse in die kleine Wohnung gehen, um nicht von deutschen Soldaten angesprochen zu werden.




Hier ein Auszug:


"Unsere echten Papiere habe ich vor zwei Jahren weggeworfen, weil es die falschen waren, die falschen sind nicht echt. Mit den echten bekäme ich jetzt vielleicht einen Schutzbrief des Vatikans. Aber mit etwas so Halbem wie unseren falschen Papieren ist es schwer, jemanden zu finden, der einem hilft. Wie schlecht eine Zeit ist, erkennt man daran, dass sie auch kleine Fehler nicht verzeiht.


Sechst Wochen habe ich nicht geschrieben, ich befand mich unter einer so starken nervlichen Anspannung, brachte keinen Gedanken zusammen. Der für mich schlimmste Fall ist eingetreten, das, wovor ich mich immer gefürchtet hatte, schlimmer als schrecklich. Es kommt mir vor, als würde ich durch alles hindurchfallen, ohne Halt zu finden.


Am Sonntag, den 16. Juli standen wir um acht Uhr auf, es war ein windiger Tag, leider kein Regen, der Wind hatte ihn verblasen. Wir frühstückten, waren auf trockenes Brot und bitteren Tee gesunken. Wally brachte Georgili in die Sonntagsschule. Ich begleitete die beiden bis zum Haustor, wir küssten einander, ich sah ihnen nach, bis sie um die Ecke verschwunden waren. Das war unser Abschied. Als sie am Nachmittag nicht zurückkamen, wuchs meine Sorge von Stunde zu Stunde. Ich begab mich zur Gemeinde, dort sagten sie, Wally und Georg seien bei der Sonntagsschule nie angekommen. Einige weitere Nachforschungen brachten die Auskunft, dass es am Klausel der eine Razzia gegeben habe, niemand konnte mir nähere Auskunft geben.


Als ich mich spät in der Nacht niederlegte, war es mir nicht bewusst, wie schlimm es werden würde. Wie sich nun das wieder klären soll, habe ich mich gefragt und mir lange Gedanken gemacht, betend, dass auch dieser schwarze Tag bald in Vergessenheit geraten darf. "


Frau und Sohn tauchen nicht mehr auf und Milch erfährt auch nicht, was mit Ihnen geschehen ist. Was für eine furchtbare Situation, er fällt in tiefe Trauer und Ausweglosigkeit:


"Die Lebensweise, die jeder Mensch in sich trägt, ist mir genommen. Du drehst dich um und willst etwas sagen, aber da ist niemand. In so belanglosen Augenblicken wird mir bewusst, wie sehr mir Wally fehlt. Wally, mit der ich fünfzehn Jahre Hand in Hand gegangen bin, einmal sie voraus, einmal ich voraus. Und plötzlich verschwindet dieser Mensch, gleitet dir aus der Hand, du drehst dich um, aber da ist nichts, buchstäblich nichts. Das ist jetzt einfach erloschen, wie ausgeblasen von einem Windstoß. Lieber Gott, hol mich heim in der Nacht, und keiner weiß was davon. Ruhe, Ruhe, das, was ich brauche, finde ich sowieso nicht. Wer sagt mir noch, dass er mich liebt. Niemand, Ich gehe jetzt ins Bett und bitte darum, nicht mehr aufzuwachen, nie mehr."


#ArnoGeiger erzählt von Leuten, die nicht mehr wissen, wie es weitergeht. Von Veit, dem ausgelaugten und vom Krieg erschöpften Soldaten, der verletzt ins Mondseeland kommt und von der "Darmstädterin" mit ihrem Baby, die gemeinsam '"unter der Drachenwand", einem Gebirgsmassiv am Mondsee einquartiert sind.


Die Normalität des Dorfgeschehens verstört, der Krieg ist aus oder doch nicht?


Ich bin mitten im Buch und es ist großartig, ich kann Euch dieses eindrucksvolle Buch, das auch seine zärtlichen und wohltuenden Momente zu bieten hat, ans Herz legen.



Arno Geiger, im wunderbaren 68er jähr geboren, ist Vorarlberger und lebt in Wien und wolfurt. Weitere empfehlenswerte Werke sind vor allem #AllesüberSally (2010) und #DeralteKöniginseinemExil (2011), hier beschreibt er mit viel Gefühl, Zärtlichkeit, aber auch Humor die Demenz seines Vaters.


Wünsche Euch nachdenklichen Lesegenuss mit #UnterderDrachenwand


383 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Opernball outdated?

Die Print- und auch sonstige Medien überschlagen sich mit News zum Ball der Bälle: Prominente wie Glöckler, Heino und Brislkilla bräslee-...

Frauen an die Schalthebel der Welt

Heute ist so ein Abend, an dem mir viel durch den Kopf geht und ich kaum ordnen kann. Ein Schluck zu viel Alkohol trägt dazu bei,...

Comments


bottom of page