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Kinder brauchen Märchen

Gastbeitrag von #SusaHämmerle, der Autorin des im Herbst geplanten Kinderkochbuches.


Wie alle großen Kunstwerke vollbringen auch die Märchen zweierlei:

Sie erfreuen und halten Weisheit bereit

KINDER BRAUCHEN MÄRCHEN

Eine Kindheit ohne Märchen wäre wie Weihnachten ohne Lebkuchenduft, wie ein Himmel ohne Fluselwolken, wie eine Katze ohne Fell zum Streicheln ...

So oder ähnlich hätte es der berühmte Kinderpsychologe Bruno Bettelheim (†1990) womöglich ausgedrückt, hätte er seine Botschaft in Poesie verpacken wollen: Kinder brauchen Märchen! postulierte er 1977 in dem gleichnamigen Buch, das ein Weltbestseller wurde – und aus dem „hässlichen Entlein“, als welches viele Pädagogen das Märchen vorher behandelt hatten, einen Schwan machte ...

Märchen sind so alt wie die Menschheit selbst. Dem althochdeutschen Wortsinn nach von Mär, Maren = verkünden, rühmen stammend, wurden und werden sie rund um den Erdball erzählt – unter freiem Himmel, in Zelten, an Lagerfeuern, in Höhlen und Palästen. Zum Glück blieb es nicht nur bei der mündlichen Überlieferung. Frühestes Beispiel eines schriftgewordenen Märchens ist etwa das babylonische Gilgamesch-Epos. Vor allem den Märchen-Sammlungen der Brüder Grimm ist es aber zu verdanken, dass wir den alten Märchenschatz auch heute noch besitzen dürfen.

Dabei erlebten Märchen und Märchenerzähler durchaus finstere Zeiten: Sie überstanden die Inquisition des Mittelalters; die reine Vernunftsgläubigkeit der Aufklärung; und sogar ein Märchen-Verbot, das es nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland gab. Damals meinten Psychologen der Alliierten, die Gräueltaten des Dritten Reiches hätten ihre Wurzeln in alten Märchenmotiven, wo ja Menschen von Wölfen gefressen werden und Hexen jämmerlich verbrennen müssen ...

Bruno Bettelheim (1903 in Wien geboren und als KZ-Überlebender 1939 in die USA emigriert) vertritt eine sehr viel andere Meinung. Das Märchen, so legt er dar, gibt dem Kind die Möglichkeit, die inneren Konflikte, die es im Laufe seiner Entwicklung – zum Teil unbewusst – erlebt, zu erfassen und in der Fantasie auszuleben und zu lösen. Denn die alten Volkserzählungen, obwohl einst für Erwachsene gedacht, nehmen die Ängste, Sehnsüchte und Fantasien von Kindern ernst: die Angst, nutzlos und verlassen zu sein; die Sehnsucht nach grenzenlosem Geliebt-werden; den Wunsch, sich gegen die übermächtige Erwachsenen-Welt zu behaupten ...

So kann beispielsweise die Gestalt der bösen Stiefmutter dem Kind helfen, mit seiner Enttäuschung fertigzuwerden, wenn es die eigene Mutter aus Wut oder Müdigkeit heraus plötzlich als fremd und böse erlebt; genauso wie ihm die Ankunft der guten Fee die beruhigende Gewissheit zu geben vermag, dass die

„gute“ Mutter wiederkommen und es beschützen wird. Darüber hinaus verschweigt das Märchen dem Kind nie, dass das „Böse“ seinen Ursprung in der menschlichen Natur hat und tröstet so ein zum Beispiel verzweifeltes Kind, das immer „gut“ sein soll, obwohl es sich manchmal „böse“ fühlt.

Diese Ehrlichkeit der Märchen und der meist positive Ausgang sind laut Bruno Bettelheim erzieherisch wichtig. Denn durch die Identifikation mit den MärchenheldInnen, denen am Ende aller Leiden und Gefahren strahlendes Glück zuteil wird, gewinnen Kinder Zuversicht und Mut und können so die Schwierigkeiten ihrer eigenen seelischen Entwicklung überwinden.

Gleichzeitig leisten Märchen aber auch einen Beitrag zur Lebens-Konditionierung. Das gleichsam spielerische Kennenlernen von Leben und Tod, Gut und Böse, Erfolg und Misserfolg sowie Widrigkeiten vieler Art als selbstverständliche „Bestandteile“ menschlicher Existenz, lässt ein Kind schon früh darauf hin „trainieren“, später als Erwachsene(r) Belastungen und Krisen leichter zu ertragen.





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